Mit den Falträdern über einen kleinen Holzsteg und dann sind wir in der Freistadt. Durch den Hintereingang sozusagen. Es ist grün und auf dem Wasser zwischen den ehemaligen Befestigungsanlagen schwimmen Enten und skurrile kleine Bootsmodelle. Wir folgen dem Pfad und stehen plötzlich vor einer Stupa, geschmückt mit tibetischen Gebetsfahnen. Es gibt keine Autos in Christiania. Keine Autos, keine Parkplätze. Platz für Menschen.
Über 50 Jahre existiert nun die Fristad Christiania. Anfang der 70er Jahre besetzten Wohnungssuchende, Hippies und Utopisten die ehemalige Militäranlage der Kopenhagener Stadtbefestigung. Im Leitbild von 1971 heißt es:
„Das Ziel von Christiania ist das Erschaffen einer selbstregierenden Gesellschaft, in der alle und jeder für sich für das Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft verantwortlich ist. Unsere Gesellschaft soll ökonomisch selbsttragend sein, und als solche ist es unser Bestreben, unerschütterlich in unserer Überzeugung zu sein, dass psychische und physische Armut verhindert werden kann.“
Nachdem wir ein wenig durch die Gassen der Freistadt pedaliert sind, lässt der Regen nach. Vor der „Einkaufszentrale“ sitzen ein paar Menschen, wir setzen uns auf die andere Seite auf einen trockenen Holzklotz unter einen Sonnenschirm. Im Einkaufsladen läuft auf einem Tablett die Tour. Pogačar ist in diesem Jahr zu stark für den dänischen Verfolger Jonas Vinnegard. Im Kühlschrank gibt es verschiedene Biersorten: ein Christiania Pilsner, mit Hanf gebraut. Ich greife zum Tuborg Grøn. Bezahlt wird hier in der Hippiekolonie mit dem Smartphone.
Es gibt viele Graffiti mit politischen Parolen in der Gemeinschaft, in der aktuell etwa 1000 Menschen leben. Man wird eingeladen, zu fotografieren. Das war nicht immer so. In Blumenkästen wächst neben Tomaten auch Hanf. In den Häusern im Erdgeschoss kleine Galerien und Boutiquen. Hochpreisig. Aber das ist ja in ganz Dänemark so. Auffällig: Es gibt überall öffentliche Toiletten. Von der einfachen Pissrinne bis zum bunt bemalten Toilettenhaus. Vergleichsweise sauber.
Wir finden die Fahrradwerkstatt. Die Geburtsstätte der weltbekannten Christiania-Bikes. Das erste dieser klassischen dreirädrigen Lastenräder schenkte Lars Engstrøm seiner Frau Annie zum Geburtstag. Die war wenig begeistert. Ein Rennrad wäre ihr lieber gewesen.
Und fast hätte ich es geschafft, einen Blogbeitrag über Christiania zu verfassen, der ohne die Worte Drogen oder Pusher-Street auskommt. Im April 2024 wurde in einer öffentlichen, medienwirksamen Aktion die Pusher-Street geschlossen. Es riecht nach Haschisch und Gras.
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