Paul Watzlawicks "Erfundene Wirklichkeit" und die Theorie des Konstruktivismus waren in den 80ern beliebt und wurden lebhaft diskutiert. Mit Diskussionen hält man sich hier nicht auf: Wirklichkeit wird konstruiert und in Beton gegossen.
Nach gut 10 Kilometern Radfahren am Long Beach in Richtung Süden stehen am Strand in exklusiver Lage einige Luxushotels. Mit Beachpools und feinen Segelclubs. Segelboote haben wir keine gesehen. Danach folgt eine Dünenlandschaft. Kilometerlange Wellblechzäune weisen daraufhin, dass hier die Claims schon abgesteckt sind. Dann geht es nicht mehr weiter. Wir pedalieren in die Baustelle. Hier entsteht das Park Hyatt Pho Quoc. Wir müssen umkehren und dann wird es immer absurder.
Der Immobilienentwickler Meyhomes hat eine komplette Stadt in den Sand gesetzt. Eine Stadt. Mit Parks, Straßenbeleuchtung, Wi-Fi und bunten Häusern. Nur Menschen gibt es nicht. Alles steht leer. Die Ladenlokale im Erdgeschoss der Häuser wurden aus Werbezwecken schon mir fiktiven Namen beschriftet. Auf den Schildern gibt es koreanisches BBQ, vietnamesische Nudelsuppe, Teestuben und Kaffeehäuser. Alles schon da. Nur in Wirklichkeit nicht.
An Toi ist ein Fischerort ganz im Süden der Insel Phu Quoc. Vorgelagert gibt es wie auf einer Perlenkette kleine Inseln. Deren Schönheit und Fischreichtum sind legendär. Ein wunderschöner Ort. Das dachten sich wohl auch die Franzosen, die hier während ihrer Kolonialherrschaft ein riesiges Strafgefangenenlager betrieben: Coconut Prison. Amerikaner und ihre südvietnamesischen Vasallen setzten die Tradition fort und folterten hier Tausende von Dissidenten und Regimegegnern. Heute erinnert ein kleines Museum an dieses dunkle Kapitel der Geschichte.
Zurück zur Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Die erfundene Wirklichkeit hat einen Namen: Sunset City. Seit 2013 vom vietnamesischen Immobilienentwickler Sungroup auf den Weg gebracht. Im Mittelpunkt die Seilbahnstation der längsten Kabinenseilbahn der Welt. Diese ist im Stil des römischen Kolosseum (innen mit kitschigen Wandmalereien römischen Lebens). Drumherum eine Themenstadt mit potemkinschen Fassaden. Motto der Stadt: Italien.
Selbst Schäden im Mauerwerk sind auf die Häuserwände gepinselt. Über eine Meeresbucht mit pittoreskem Blick auf die türkisfarbenen Fischerboote spannt sich die Kiss-Bridge. Von hier hat man einen Blick auf das allabendlich stattfindende Festival of the Seas. Ein Spektakel mit Feuerwerk und Jetski-Stunts. Direkt neben dem Kolosseum eine gläserne Brauerei. Bavarian Craft Beer. Handgemacht von traditionellen bayrischen Braumeistern. Im Ausschank drei verschiedene Sorten. Light, Black und Amber. 2,20 Euro der halbe Liter vom Fass. Schlecht schmeckt es nicht. Aber ich habe auch schon besseres Bier getrunken. Hallo Dortmund. Hallo Bergmann Brauerei. Wir ertappen uns bei der Vorzustellung, wie sich coole vietnamesische Jungs "Schlanke Matilde" oder "Hopfensünde" auf den Arm tätowieren.
Die erfundene Wirklichkeit steht übrigens meist leer. Hinter den bunten Fassaden gähnende Leere. Die Banken, die diesen Spaß finanziert haben, können sich schon einmal warm anziehen. Zwar ziehen durchaus Touristengruppen durch dieses potemkinsche Urlaubsparadies, aber es bleibt eine sehr riskante Wette auf die Zukunft.
Hatte ich eigentlich erzählt, dass die Vietnamesen ihren Plastikmüll gerne in der Natur entsorgen. Vom Moped, aus dem Auto, in den Fluss. Da braucht es noch eine hohes Maß an Bildung und Sensibilisierung. Auch das ist Wirklichkeit.
Gerade ist wieder Feuerwerk. Wie jeden Abend. Was wohl die Fischer denken.
